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Mentaler Missbrauch: Stuttgart öffnete Motten die Augen

USA, Großbritannien, Schweiz, Niederlande, Belgien, Australien. Kaum ein Tag vergeht derzeit, ohne dass nicht ein Turner, eine Turnerin oder eine Gymnastin mit erschreckenden neuen Geschichten unter dem Hashtag #gymnastalliance von Missbrauch im Training berichtet. Eine ganze Reihe von bekannten Aktiven und Ehemaligen meldete sich im Nachgang zur Netflix-Produktion «Athlet A» über den Missbrauchsskandal im US-Turnen zu Wort. Unter ihnen zuletzt auch Dorien Motten, die seit 2017 in Reihen des deutsche Rekordmeisters MTV Stuttgart steht. Wenige Tage nach ihrem 29. Geburtstag ging die charismatische Belgierin mit einem Instagram Posting an die Öffentlichkeit.

Dorien Motten
Dorien Motten (MTV Stuttgart)

«Während meiner Zeit als Mitglied der Nationalmannschaft wurde ich gedemütigt, eingeschüchtert und gemobbt. Jeden Tag wurde mir gesagt, ich sei wertlos, ich sei faul und fett und ich würde nie etwas erreichen», schreibt Motten, die 2014 und 2015 im belgischen WM-Team stand. Als sie geweint habe, sei sie gefilmt worden und diese Bilder seien gezeigt worden. Es wurde gesagt, sie sei ein weinendes Baby, das nicht stark genug gewesen sei, um eine erfolgreiche Turnerin zu werden. «Als ich das jeden Tag hörte, glaubte ich es selbst», schrieb die Turnerin.

Mottens Instagram Beitrag

Dass Turnen auch anders funktionieren könne, habe sie erst in ihrer Zeit mit dem MTV Stuttgart begriffen. «Sie wollten mich in ihrer Mannschaft haben. Sie hatten einige Olympiaturnerinnen in ihrem Team und sie wollten ausgerechnet mich, um ihr Team zu verstärken? Ich konnte das zuerst gar nicht glauben»,erinnert sie sich. «Ich habe gesehen, wie sie ihre Mädchen auf eine positive, ermutigende Art und Weise gecoacht haben. Die Trainer haben ihre Turnerinnen nicht mit Schimpfworten belegt. Sie haben keine mentalen Spielchen gespielt. Und ihre Mädchen haben dennoch Olympia- und Weltmeisterschaftmedaillen gewonnen», sagt sie.

Der internationale Turn-Verband (FIG) ist aufgrund der vielen Fälle bereits alarmiert: «Verbaler oder physischer Missbrauch jeglicher Art darf schlicht nicht toleriert oder geduldet werden», erklärte Micheline Calmy-Rey, Präsidentin der FIG-Ethikkommission vor wenigen Tagen. Auch der Deutsche Turner-Bund (DTB) will mit einem eigenen Konzept gegen die sexualisierte Formen der Gewalt gegen Athleten wirken. Zentrale Bedeutung kommt dabei der Berufung einer ehrenamtlichen Ombudsperson zu. Diese Rolle übernimmt die Kölnerin Britt Dahmen von der Universität Köln. Sie fungiert als zentrale Anlaufstelle für Aktive, die sich unter Druck gesetzt oder missbraucht fühlen und deshalb nach einem unabhängigen Gesprächspartner suchen.

Jens-Uwe Kunze
Jens-Uwe Kunze (DTL)

«Auch wir von der Deutschen Turnliga unterstützen dieses Konzept in vollem Umfang», sagte DTL-Präsident Jens-Uwe Kunze. Der Berliner sieht dabei alle Mitgliedsvereine, Trainer, Kampfrichter und Funktionäre in der Pflicht. «Es kann nur unser Ziel zu sein, innerhalb der Deutschen Turnliga eine Kultur zu fördern und zu erhalten, in der die Menschen zu jeder Zeit das Gefühl haben, dass sie ihre Bedenken ohne wenn- und aber vorbringen können», erklärte er. Verhaltensweisen, wie sie von Motten beschrieben worden seien, stünden «in krassen Widerspruch zu allem, für das die DTL heute und in Zukunft stehen möchte und dürfen daher in unseren Ligen keinen Raum haben». An oberster Stelle müsse immer das Wohlergehen der Turner, Turnerinnen und Gymnastinnen stehen.

29. Juli 2020
von Nils B. Bohl

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