Turn-EM | LEIPZIG
Dunkel zwischen Licht und Schatten

Es war schon später Abend, als sich Nils Dunkel auf den Weg durch die Mixedzone machte. Die meisten der 1597 Zuschauer hatten die Leipziger Messehalle 1 längst verlassen, als der Turner vom Meister KTV Straubenhardt vor die Mikrofone trat. Er hatte sich kurz zuvor in der EM-Qualifikation der Männer für das Mehrkampffinale und den Endkampf am Barren qualifiziert. Zwei echte Erfolge. Und doch: Dunkels Blick war keiner, der das Rampenlicht suchte. «Ja, die eine Hälfte von mir lacht, die andere ist traurig», sagte er. Ein Satz, der nachhaltig hängen blieb. Die Freude über Platz vier mit dem deutschen Team – wenig mehr als zwei Zehntelpunkte fehlten zur Bronzemedaille – war offenkundig. Doch ebenso ehrlich sprach er über seine Enttäuschung. «Pferd hätte ich lieber genommen als das Barrenfinale», bekannte er. Sein Paradegerät, das Pauschenpferd, hätte ihm ein weiteres Finale bescheren können. Doch es kam anders.

Eine Hälfte lachend, die Hälfte traurig: Nils Dunkel (links unten) im Kreis der Mannschaftskollegen.

Der EM-Dritte von 2022 in München erklärte das ganz ohne Drama. Die Übung sei «nicht perfekt» gewesen, man habe «eine perfekte Übung gebraucht». Mehrere davon habe er im Training geturnt. Die eine jetzt nicht. «Aber dafür Barrenfinale», sagte er. Beinahe so, als müsse er sich selbst daran erinnern, dass das auch etwas zählt. Die dort gezeigte Übung sei «ziemlich gut» gewesen. Vielleicht ließe sich mit einem sauber gestandenen Abgang noch ein Zehntel herausholen. «Stand-Bonus gibt’s ja jetzt».

Während andere in solchen Momenten die ein oder andere Turnlegende zur Selbstinszenierung neigt, wählt Dunkel lieber den Weg der stillen Reflexion. Er spricht nicht in grossen Gesten, sondern in klaren Absichten. «Ich habe im Vorfeld gesagt, ich möchte bei der EM auf jeden Fall Mehrkampf turnen», erklärt er. Dass es nun tatsächlich für das Finale gereicht hat, auf Rang sieben nach der Qualifikation, sei aber alles andere als selbstverständlich gewesen: «Damit habe ich nicht gerechnet», räumt er ein. Doch Dunkel geht es nicht allein um Zahlen oder Platzierungen. Es geht ihm um die Wiederholung des Moments, um das Eintauchen in einen Zustand, der sich schwer in Worte fassen lässt: «Die Atmosphäre muss man einfach geniessen», sagt Dunkel.

Einfach nur Gänsehaut: Straubenhardts Nils Dunkel freut sich mit Andreas Toba (TV Schwäbisch Gmünd-Wetzgau) über dessen Einzug ins Finale am Reck.

Am persönlichsten wird Dunkel, als er über seinen langjährigen Teamkollegen Andreas Toba spricht. Nach dessen Reckübung lief er sofort zu ihm, umarmte ihn fest. Toba hatte sich mit der vermeintlich letzten Übung seiner letzten EM doch noch für das Finale qualifiziert. «Dass er die Chance hat, sein Karriereende auf dem Podium, letztes Gerät, Spotlight in einer hoffentlich vollen Halle zu geniessen – einfach Gänsehaut», findet Dunkel - und strahlte dabei mehr als zuvor.

Der Turner, der zwei Finals erreichte und zugleich das vielleicht schönste Bild des Abends schenkte, war an diesem Abend nicht der Lauteste. Aber er war mit Sicherheit einer der Aufrichtigsten.

Zeitplan der Europameisterschaften in Leipzig

28. Mai 2025
von Nils B. Bohl

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