2. BUNDESLIGA | FRAUEN
Leipzig-Coach hört auf: Mit wenig Mitteln viel bewegt

Sein Weg führte ihn nach dem Abitur zunächst in den kaufmännischen Bereich, unter anderem in die Gastronomie und den Handel. 2016 folgte die Rückkehr in die Heimat und der Sprung in den Leistungssport als hauptamtlicher Trainer. Gemeinsam mit Kerstin Schlegel entwickelte er die Leipziger Bundesliga-Riege kontinuierlich weiter, Talente wie Jessica und Alina Schlegel schafften den Sprung in die nationale Spitze. «Wir haben hier mit wenig Mitteln viel bewegt», betont Schäller rückblickend. Auch wenn ihm der Abschied von der Trainingsfläche nicht leichtfällt, blickt er mit Stolz auf das Erreichte – und will dem Turnsport weiterhin verbunden bleiben.
DAS GANZE INTERVIEW
Till, du hast deinen Rücktritt als Trainer beim TuG Leipzig erklärt. Was war der Auslöser?
«Ich trage diesen Gedanken schon seit eineinhalb bis zwei Jahren mit mir herum. Die wirtschaftliche Situation ist leider schwierig geworden. Aufwand und Nutzen standen am Ende einfach nicht mehr im Verhältnis. Ich habe das lange versucht, mit dem Verein nachzuverhandeln – alles fair, da will ich keine schmutzige Wäsche waschen. Aber finanziell hat es einfach nicht mehr gereicht, um gut über die Runden zu kommen. Und irgendwann musste ich die Entscheidung für mich treffen.»
Wie lange warst du beim TuG Leipzig tätig?
«Seit Mai 2016 war ich hier im Verein. Ich bin damals nach fast 18 Jahren in Niedersachsen und Hessen zurück in meine Heimat Leipzig gekommen. Anfangs war ich Vollzeittrainer, zuletzt aber nur noch auf 30-Stunden-Basis angestellt.»
Gab es für dich die Überlegung, woanders als Trainer weiterzumachen?
«Die Angebote gab es, zum Teil sehr attraktive, von anderen Stützpunkten. Aber ich wollte bewusst im Umkreis von Leipzig bleiben, das war für mich ganz klar. Das hier ist meine Heimat, hier habe ich meine Wurzeln.»
Du hast gesagt, du kehrst jetzt in deinen angestammten Beruf zurück. Was dürfen wir uns darunter vorstellen?
«Ich komme ursprünglich aus dem kaufmännischen Bereich, aus der Gastronomie und dem Handel. Ich habe unter anderem lange für die NORDSEE gearbeitet. Nun gibt es zum Beispiel ein ganz interessantes Angebot von der Bundeswehr, das könnte ich mir gut vorstellen. Ganz spruchreif ist noch nicht, aber die Richtung ist klar.»
Wie schwer fällt dir der Abschied von der Trainingsfläche?
«Natürlich ist ein lachendes und ein weinendes Auge dabei. Gerade wenn ich an die Mädels denke, die ich fast zehn Jahre lang begleitet habe – zum Beispiel Jessica und Alina. Da steckt enorm viel Herzblut drin. Der Abschied beim letzten Wettkampf war schon sehr emotional. Aber ich bin auch gefestigt. Ich weiß, dass es für mich jetzt einen neuen Weg gibt.»
Was überwiegt für dich im Rückblick – Stolz, Wehmut oder Erleichterung?
«Ganz klar der Stolz. Wir haben hier in Leipzig viel aufgebaut. Besonders gemeinsam mit meiner Kollegin Kerstin Schlegel. Wir hatten gute Bedingungen, aber eben auch wenig Spielraum, gerade finanziell. Da war vieles auf Kante genäht. Und ich sage auch ganz offen: Die Sponsoren-Suche ist nicht Aufgabe der Trainer, das muss eigentlich über den Verein oder den Stützpunkt laufen.»
Du hast die Mädels oft mehr gesehen als deine eigene Familie, oder?
«Das stimmt. Ich habe teilweise mehr Zeit mit den Turnerinnen verbracht als mit meinem eigenen Sohn. Der spielt ambitioniert Fußball, hatte viele Spiele und Turniere, bei denen ich nicht dabei sein konnte. Das war manchmal ein schmerzlicher Spagat. Die Zeit kann ich nicht zurückholen, aber ich glaube, ich habe das Beste daraus gemacht. Er hat sich toll entwickelt.»
Wo siehst du die größten Entwicklungen in deiner Zeit als Trainer in Leipzig?
«Als ich angefangen habe, gab es im älteren Altersbereich kaum Turnerinnen. Wir haben das Schritt für Schritt aufgebaut, die Mädchen gehalten, ihnen Angebote gemacht – zum Beispiel die Bundesliga oder internationale Wettkämpfe. Wir hatten Erfolge bei den Deutschen Jugendmeisterschaften, deutschen Meisterschaften, Jessica (Schlegel, Anm. Red.) steht im erweiterten Bundeskaderkreis, Mariia Hradyk im Nachwuchskader 2. Das alles zeigt: Wir haben hier mit wenig Mitteln viel bewegt. Und was mir fast noch wichtiger ist: Wir haben nicht nur gute Athletinnen ausgebildet, sondern starke, selbstbewusste junge Menschen.»
Bleibst du dem Turnsport in irgendeiner Form erhalten?
«Sag niemals nie. Im Moment konzentriere ich mich auf meinen neuen Weg. Aber ich schließe nicht aus, irgendwann wieder in die Halle zurückzukehren – wenn es gewünscht ist. Als Zuschauer bin ich sowieso dabei, zum Beispiel bei den Deutschen Meisterschaften, wenn Jessica an den Start geht. Und natürlich verfolge ich den Weg weiter und bleibe in Kontakt.»
Wie schätzt du die Zukunft des TuG Leipzig und der Bundesliga ein?
«Die Zukunft hier wird herausfordernd, keine Frage. Es ist nicht leicht, qualifizierte Trainer zu finden. Kerstin führt die Arbeit weiter, sie macht das großartig. Aber auch finanziell ist es ein Spagat. Die nächsten Bundesliga-Wettkämpfe sind nicht durchfinanziert, das muss man klar sagen. Perspektivisch hoffe ich, dass der Verein sich strukturell besser aufstellt, mit langfristigen Konzepten, nicht nur von Jahr zu Jahr. Das haben sich die Mädchen, die alle hart arbeiten, verdient.»
Und die Bundesliga als Format? Hat das für dich Zukunft?
«Unbedingt. Die Bundesliga ist eine tolle Bühne – für die Turnerinnen, für den Sport insgesamt. Die Professionalisierung ist beeindruckend: LED-Banden, digitale Abläufe, das hat sich enorm entwickelt. Das gehört zum Turnen dazu, das stärkt den Teamgeist, auch wenn es ein Einzelsport ist. Ich hoffe sehr, dass es dieses Format noch lange gibt und sich offen und modern weiterentwickelt.»
«Was nimmst du persönlich aus deiner Trainerzeit mit?
Penetranz und Kontinuität (lacht). Immer wieder an den Grundlagen arbeiten. Und vor allem den Blick für die langfristige Entwicklung – körperlich, sportlich, aber auch menschlich. Es geht nicht immer nur um die Leistung, schon gar nicht um jeden Preis. Die persönliche Entwicklung der Mädchen begleitet zu haben. Das erfüllt mich mit Stolz.»
Ein bisschen Wahnsinn gehört also dazu, wenn man diesen Weg geht?
«Definitiv. Aber ohne den geht es im Leistungssport sowieso nicht.»