1. BUNDESLIGA | FRAUEN
Rückzug mit Haltung - Kölns Sarah Voss hört auf
Ihre Rolle in der Bundesliga sah sie als Verpflichtung gegenüber ihrem Team. Sie führte die Mannschaft nicht nur als Kapitänin, sondern war selbst regelmäßig an allen vier Geräten im Einsatz. Voss war keine Showturnerin, sondern eine, die sich dem Handwerk verpflichtet fühlte – und damit Vorbildfunktion übernahm, nicht zuletzt für den Nachwuchs in Köln.
Zwischen Selbstbehauptung und Selbstdisziplin
Das Verhältnis zum eigenen Körper war für Voss – wie für viele im Hochleistungsturnen – ein ambivalentes. Wiederholt sprach sie in Interviews über körperliche Grenzen, über permanente Belastung und Verletzungen, aber auch über Phasen, in denen die Kontrolle über Training, Ernährung und Leistung zur ständigen Herausforderung wurde. Sie formulierte es einmal so: «Mein Körper war eine unberechenbare Variable.» Vieles klang darin an, was andere unausgesprochen ließen. Als sie bei der Europameisterschaft 2021 in Basel im langen Turnanzug antrat, war das ein symbolischer Moment. Die Entscheidung war nicht sportlich motiviert, sondern ein Statement: gegen sexualisierte Blickwinkel im Sport, für Selbstbestimmung. Der mediale Effekt war beträchtlich, doch Voss erklärte nüchtern, sie wolle, «dass sich jede Turnerin in ihrem Outfit wohlfühlt». In einer Disziplin, die jahrzehntelang Normen nicht hinterfragte, war das ein Bruch mit Tradition. Auch wenn der Vorstoß auf internationaler Ebene nur wenig Nachahmer fand, so fand er doch Respekt als Beitrag zur Debatte um Werte im Spitzensport.

Ein Rückzug ohne Bitterkeit
In den vergangenen Jahren war Voss mehrmals durch Verletzungen zurückgeworfen worden. Die Teilnahme an den Weltmeisterschaften 2023 in Antwerpen war bereits von Einschränkungen begleitet, ebenso wie die Europameisterschaft 2024 in Rimini. Dass sie ihren Rücktritt nun nicht mit einem letzten großen Auftritt, sondern mit einem persönlichen Statement auf Instagram vollzieht, passt zur Tonlage ihrer Karriere. «Ein Lebensabschnitt geht zu Ende», schreibt sie dort. «Das Turnen hat mich geprägt, getragen und mir unendlich viel geschenkt. Aber jetzt ist es Zeit, loszulassen.» Sie wolle ihre Erfahrungen teilen – «die schönen und die schweren» –, denn: «In unserer Offenheit liegt die größte Stärke.»
Diese Offenheit hatte sie bereits während ihrer aktiven Zeit kultiviert. Neben dem Sport absolvierte sie ein Studium im Bereich Sportmanagement, engagierte sich in Gremien des DOSB und war Teil von Initiativen zum Kulturwandel im Leistungssport. Dass sie in diesen Strukturen auch künftig eine Rolle spielen könnte, erscheint nicht ausgeschlossen. Für das TZ DSHS Köln und die Deutsche Turnliga bedeutet ihr Abschied den Verlust einer verlässlichen Leistungsträgerin – und einer Persönlichkeit, die im Hochleistungssport selten geworden ist: sachlich, reflektiert, uneitel.