Turn-EM | LEIPZIG
EM-Silber: Fünf Fragen an Gerben Wiersma

Es war ein Moment, der weit über den reinen Sport hinausreicht: Mit der Silbermedaille bei der Heim-Europameisterschaft in Leipzig haben die deutschen Turnerinnen nicht nur Geschichte geschrieben – sie haben auch ein starkes Zeichen gesetzt. Nach Monaten voller Unruhe, Vorwürfen und Unsicherheit gelang es Helen Kevric, Karina Schönmaier, Lea Quaas, Janoah Müller und Silja Stöhr, sich mit vereinten Kräften zurück ins sportliche Rampenlicht zu turnen. Es ist das beste EM-Ergebnis einer deutschen Frauenmannschaft – und doch bedeutet es weit mehr als nur eine Zahl: Es ist ein Befreiungsschlag, eine Bestätigung der eigenen Stärke, ein Aufbruch. Für Cheftrainer Gerben Wiersma ist dieser Erfolg ein emotionaler Meilenstein – und ein Beweis für den Teamgeist, der diese Gruppe trägt. Im Interview spricht er über die Kraft dieses Kollektivs, über Nervosität, Analyse und Stolz – und über den schmalen Grat zwischen Feiern und Fokussieren.

Gerben, wie fühlt sich dieser historische Erfolg für Dich an?
«Ich bin natürlich sehr glücklich – und auch ein bisschen verliebt in dieses Team, wenn ich das so sagen darf. Es war eine stressige Woche, eine stressige Zeit insgesamt. Aber so ein Abschluss bei der ersten großen Entscheidung dieser Europameisterschaften ist einfach schön. Ich bin sehr, sehr zufrieden.»

Wann war Ihnen klar, dass es für eine Medaille reichen könnte?
«Nach dem Balken. Der ist bei uns immer ein Unsicherheitsfaktor, und wir hatten dort eine sehr hohe Durchschnittswertung – eine 13. Das hat mich positiv überrascht. Die Übungen am Stufenbarren waren ebenfalls stark, aber auf dem Balken hatten wir unsere Zweifel. Ich hatte wirklich Sorge. Als ich dann die Punktestände sah und wusste, dass Rumänien noch an den Barren geht – was nicht unbedingt ihr stärkstes Gerät ist – war mir klar: Da geht heute etwas. Frankreich war ebenfalls stark, aber wir konnten sie am Ende hinter uns lassen. Als ich den Rückstand von 1,56 Punkten sah, wusste ich: Das schaffen wir.»

Was ist das Geheimnis hinter diesem Silbererfolg?
«Teamarbeit. Ich schwöre auf den Teamgedanken. Wir stellen sicher, dass jeder seinen Beitrag leistet – auch wir Trainer. Wir waren nach dem Podiumtraining nicht zufrieden mit unserer eigenen Leistung und haben sehr kritisch miteinander gesprochen. Das hat uns geholfen, am Wettkampftag als bestmögliche Coaches dazustehen. Auch solche Details machen einen Unterschied. Am Ende war es das Kollektiv, das diese Medaille gewonnen hat.»

Hat diese Medaille nach den schwierigen Monaten für das deutsche Frauenturnen eine doppelte Bedeutung?
«Ich bin vorsichtig mit solchen Formulierungen, aber ja – es fühlt sich besonders an. Ich bin sehr stolz auf die Mädchen. Sie haben gezeigt, wie widerstandsfähig sie sind und was in ihnen steckt. Natürlich sind die letzten Monate nicht vergessen, das geht auch nicht. Aber es ist wichtig, sich auch einmal zu freuen, wenn etwas gelingt. Das werden wir tun – feiern, dass wir es gut gemacht haben. Und dann werden wir uns in den nächsten Wochen wieder intensiv mit der Gesamtsituation auseinandersetzen.»

Wie geht es jetzt weiter? Ist heute noch Feiern angesagt?
«Ein bisschen vielleicht – aber nicht zu lang. Einige wollen noch ihre Eltern sehen, dann wird gegessen. Morgen steht schon wieder Training an: Helen und Karina müssen ran, und auch Janoah, die andere Allrounderin, sollte noch einmal durchturnen. Die anderen bekommen einen Tag frei. Was die Mixed-Team-Finalteilnahme angeht: Offiziell muss die beste Turnerin der letzten drei Jahre starten – das wäre Helen. Aber da sie einen Fehler hatte, müssen wir das noch einmal genau analysieren. Vielleicht wird es auch Karina. In jedem Fall ist das Programm straff. Das Mixed-Finale endet um 19 Uhr, und am nächsten Morgen beginnt das Aufwärmen um 10 Uhr – das ist eng getaktet. Ich finde die Mixed-Wettbewerbe schön, aber der Zeitplan ist sehr anspruchsvoll.»

Alle Informationen zu den Europameisterschaften in Leipzig

Event Europameister Silbermedaille Bronzemedaille
Team Italien Deutschland Frankreich
Mixed Team Karina Schönmaier/Timo Eder Ruby Evans/Jake Jarman Manila Esposito/Lorenzo Minh Casali
Mehrkampf Manila Esposito Alba Petisco Ana Barbosu
Sprung Karina Schönmaier Valentina Georgieva Lisa Vaelen
Stufenbarren Nina Dewael Bettina Czifra Ana Barbosu
Schwebebalken Nina Dewael Ana Barbosu Sofia Tonelli
Boden Ana Barbosu Manila Esposito Alba Petisco
Event Europameister Silbermedaille Bronzemedaille
Team Großbritannien Schweiz Italien
Mixed Team Timo Eder/Karina Schönmaier Jake Jarman/Ruby Evans Lorenzo Minh Casali/Manila Esposito
Mehrkampf Adem Asil Leo Saladino Krisztofer Mészáros
Boden Luke Whitehouse Harry Hepworth Lorenzo Minh Casali
Pauschenpferd Hamlet Manukyan Mamikon Khachatryan Gabriele Targhetta
Ringe Adem Asil Eleftherios Petrounias Artur Avetisyan
Sprung Artur Davtyan Jake Jarman Nazar Chepurnyi
Barren Nils Dunkel Ian Raubal Timo Eder
Reck Robert Tvorogal Andreas Toba Anthony Mansard
27. Mai 2025
von Nils B. Bohl

Zurück