2. BUNDESLIGA | FRAUEN
Trainerin zwischen Hoffen und Bangen

Susanne Tidecks vom TT Kiehn Group Lüneburg-Buchholz hat den ersten Wettkampf des Jahres schon genau vor Augen. «Ich sehe sie gerade vor mir strahlen», sagt sie. «Wenn sie rausgehen, einen Wettkampf turnen und am Ende sagen können, das was ging, haben wir hingestellt», kann sie sich die Mädchen ihrer Teams in der 2. Bundesliga und der Regionalliga schon wieder an den Geräten vorstellen. Sinken die Inzidenzwerte weiter ab, könnte es Anfang Oktober für beide Mannschaften wieder losgehen. «Man hat immer im Hinterkopf, wird es diesmal wirklich klappen? Es ist immer ein bisschen unwirklich», räumt sie ein. Doch Tidecks ist auch eine Kämpfernatur, auch wenn die Hoffnung zwischenzeitlich immer wieder neue Dämpfer erhalten hat. Ich weiß, es wird irgendwann alles besser. Nur wann ist irgendwann?», fragt sie und stellt im gleichen Atemzug nüchtern fest: «Wir sind noch immer am Rande des Trainings. Aber das geht wohl fast allen so.»

Trainerhilfen sind in Lüneburg-Buchholz nach wie vor nicht möglich.

Anfang des Jahres habe sie noch gedacht, nun habe ich meine Mädchen bis dorthin getragen, im Mai geht es irgendwann wieder los. «Dann kam irgendwann die Botschaft, im Oktober. Vielleicht im September mit einem Nachholtermin. Es war schwer, den Mädchen das zu vermitteln. Aber wir haben es irgendwie alle gemeinsam geschafft», sagt sie. Einfach war das nicht. Denn auch Tidecks selbst spürt, wie sehr der Pandemiebetrieb an den eigenen Kräften zehrt. «Am Anfang war alles sehr spontan. Natürlich konnten wir nicht in die Halle. Irgendwann im letzten Jahr durften wir rein. Verändert hat sich für uns seitdem nicht viel. Das bedeutet, dass die Mädchen zwar in der Halle sind, aber überwiegend im Einzeltraining. Und das ist unheimlich anstrengend für die Organisation», sagt sie. Hinzu komme, dass man in Lüneburg unter dem Dach von Blau-Weiß Buchholz nach wie vor ohne Trainerhilfen arbeiten müsse. «Klar kann man sich über methodische Wege behelfen. Die meisten Turnerinnen sind ja auch schon älter. Aber es belastet dennoch zunehmend», erklärt Tidecks.

Auch als Animateurin gefragt: Susanne Tidecks.

Je länger die Pandemie andauert, desto mehr hat sich auch ihr Trainerjob verändert: Gefragt sind nun auch Tidecks Qualitäten als Animateurin. «Mit jeder Wettkampfabsage muss ich wieder anfangen, uns neu zu erfinden. Neue Strategien zu entwickeln, wie ich uns durch dieses neue Tal kriege. Es kostet viel Kraft, ihnen immer wieder zu sagen, kommt, wir kriegen das hin. Hin und wieder habe ich mir schon auch mal jemanden gewünscht, der mir das sagt», gibt die Sozialpädagogin aus Winsen an der Luhe zu. Doch die Gefahr, dass Sportlerinnen ihrer Passion Turnen mangels Perspektiven den Rücken kehren, ist durchaus real. «Sie machen ja ganz viel in ihrer Freizeit. Sie haben ihre Jobs, ihr Studium und gehen nebenher vier- oder fünfmal die Woche in der Halle. Sie sind alle keine Hochleistungssportler im klassischen Sinne. Sie müssen unentwegt dranbleiben, um ihre Fitness beizubehalten», weiß die Trainerin. Das gestalte sich zunehmend schwierig, obgleich der Verein immer wieder viele Aktivitäten online angeboten habe. «Wir haben sogar interne Battles gemacht, wer schafft die meisten Klimmzüge. Einfach um sie beisammen zu halten. Die Turnerinnen kommen ja aus mehreren Vereinen und wir haben lange gebraucht, ein echtes Team zu werden. Jetzt sind sie natürlich wieder alle vereinzelt», bedauert Tidecks, die seit 2016 die sportfachliche Leitung des Turn Teams aus der Lüneburger Heide innehat. Ginge es nach Tidecks, dann sollte es in dieser Saison auf jeden Fall Auf- und Absteiger geben – unabhängig von deren Dauer. «Damit die Mädchen etwas haben, wofür sie kämpfen können. Eine Saison, in die wir hoch motiviert reingehen können. Das ist ein extrem wichtiges Zeichen. Sie sollen sehen, dass alles eine Zukunft hat. Das ist ein ganz anderes Feeling für einen Wettkampf», ist sie überzeugt. Und wenn es nach oder wegen Corona nicht gut laufe, dann sei das eben so. «Dann stehen wir eben nicht so stark da wie zuvor. Aber damit sind wir sicher nicht alleine. Es werden viele Clubs nicht so stark aus der Pandemie kommen, wie sie vorher waren», ist Tidecks überzeugt.

Dass die Entscheidung über die Durchführung erst wenige Wochen vor dem Startschuss fallen könnte, sieht sie kritisch. «Wir haben seit über einem Jahr keinen Wettkampf mehr geturnt. Ich könnte derzeit gar nicht sagen, wie wir in einem Wettkampf dastehen würden. Ob die Turnerinnen mental die Kraft haben oder nicht, ob sie zu aufgeregt sind», überlegt sie. «Ich würde mir wünschen, dass die Entscheidung, ob abgesagt wird oder nicht, deutlich früher fällt», betont sie. Das sich dies in der Praxis nur sehr schwer umsetzen lässt, ist auch Tidecks bewusst. Das wichtigste Ziel für die Turnerinnen des 2013 gegründeten TT Kiehn Group Lüneburg-Buchholz und ihre Trainerin ist jedoch, «das wir sie als Mannschaft wieder zusammenhaben. Und, dass wir sagen können, wir sind wieder ein Team». Denn nur dann könne man auch den Mädchen das Gefühl vermitteln: «Wir sind wieder auf dem Weg!», betont sie.

21. Mai 2021
von Nils B. Bohl

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