KOMMENTAR
Turnen, Tränen und Triumph
Ein Kommentar von Nils B. Bohl

Dresden hat an diesem Wochenende gezeigt, dass Sport manchmal dann am größten wirkt, wenn er ganz nah heranrückt. Die «Finals 2025» verwandelten die Stadt in ein Labor des Spitzensports – und bewiesen, dass es für große Emotionen nicht zwingend riesige Arenen braucht, sondern klug inszenierte Nähe. Wer die Halle betrat, spürte sofort, wie aufgeladen die Luft war: Jede Drehung am Reck, jeder Absprung vom Balken, jede gereckte Faust wurde zum Ereignis. Es waren vor allem die kleinen Geschichten, die Dresden groß machten. Doppel-Europameisterin Karina Schönmaier turnte mit jener Souveränität zu ihrem ersten Mehrkampftitel, wie man sie sonst nur von Sportlerinnen kennt, die schon ein paar Nächte neben Goldmedaillen verbracht haben. Doch neben ihr wirbelte auch eine Jesenia Schäfer, die kaum dem Nachwuchs entwachsen, der Favoritin in deren Paradedisziplin Sprung für einen kurzen Moment die Show stahl.

Ein Augenblick, in dem der Sport seine ganze dramaturgische Schönheit entfaltet. Zur Dramatik gehört freilich auch der Schmerz: Lisa Wötzel sei als Beispiel genannt. Sie war schon auf Kurs Richtung Siegerpodest, als eine Fußverletzung sie abrupt stoppte. Und schließlich gab es noch die Geschichten, die nicht vom Scheitern, sondern vom Aufstehen erzählen. Meolie Jauch, die in Dresden nach bedrückenden Erfahrungen im Umfeld der tiefgreifenden Erschütterungen rund um das Kunstturnforum in Stuttgart in neuen Farben ihre sportliche Sprache zurückfand  - und diesen Weg mit einem Titel am Stufenbarren krönte. Oder Leonard Prügel, der nach dem Transferdrama in der Bundesliga und seinem Bruch mit dem SC Cottbus lange als Verlierer zwischen den Fronten galt, in Dresden allen davonsprang.

Fels in der Brandung und Leichtigkeit des Seins

Die Wettbewerbe der Männer lieferten dazu die passende Erdung. Timo Eder ist kein Lautsprecher, keiner, der jeden Erfolg ins Rampenlicht zerrt. Aber seine Art, einen Wettkampf unter Kontrolle zu bringen, hatte in Dresden etwas Beruhigendes. Der Sport lebt von Typen wie ihm, die Konstanz mit stiller Autorität verbinden und gerade dadurch beeindrucken. Und dann war da noch Darja Varfolomeev, die durch die Rhythmische Sportgymnastik schwebte, als sei diese Veranstaltung eigens für sie erdacht worden. Ihre Übungen hatten die Leichtigkeit von choreographierter Selbstverständlichkeit. Das Publikum wusste in jedem Moment, dass es Zeugin einer Ausnahmekönnerin war, die den Sport über den Augenblick hinausträgt.

Das Konzept «Die Finals» funktioniert

Die eigentliche Botschaft dieses Wochenendes aber lautet: Das Konzept der Finals funktioniert – und es funktioniert nicht trotz, sondern gerade wegen seiner Verdichtung. Hier entsteht ein Sportfest, das Zuschauerinnen und Zuschauern erlaubt, Geschichten unmittelbar zu erleben: das triumphale Lächeln, den winzigen Wackler, die Tränen im Schatten der Tribüne. Dresden hat sich als Bühne bewährt. Und der deutsche Sport hat sich selbst daran erinnert, dass seine stärksten Momente oft im Kleinen beginnen.

04. August 2025
von Nils B. Bohl

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